Alle schlagen den DAX! Alle Jahre wieder

Dezember heißt: Berge von Tipps fürs nächste Börsenjahr. Erstaunlich ist weniger ihre Treffsicherheit als ihre Menge.

12/19/20252 min read

Im Netz stapeln sich wie immer im Dezember die Tipps für ein garantiert famoses neues Börsenjahr, so die Theorie. Von „Warum High-Tech auch 2026 unschlagbar bleibt“ bis hin zu „Tech ist durch – diese Sektoren übernehmen jetzt“ sind alle Nuancen vertreten. Es geht auch größer: „Jetzt beginnt der nächste Superzyklus“. Aber auch bescheidener: „Warum Zurückhaltung 2026 die beste Strategie ist“. Oder ganz konkret: „Mit diesen Aktien schlagen Anleger garantiert den DAX“. Die einen bleiben bei Technologie, andere schwören auf Infrastruktur, wieder andere sehen Rüstung oder Dividenden ganz vorne – oder den vergessenen Pennystock, der explodieren wird. Die Themen unterscheiden sich, die Gewissheit nicht. Nächstes Jahr wird man den DAX schlagen. Darin ist man sich erstaunlich einig – obwohl man sich sonst über fast nichts einig ist.

Erstaunlich ist dabei weniger die Treffsicherheit der Prognosen als ihre Menge. Die Zahl der vorhergesagten Überperformer ist jedes Jahr groß, die der tatsächlichen im darauffolgenden Jahr dagegen deutlich kleiner. Um Größenordnungen. Rückblickend hätte man den DAX mit unzähligen Strategien schlagen können – nur standen die meisten davon vorher in keiner Prognose. Recht haben kann am Ende nicht jeder. An den lautesten Trommeln erkennt man den, der Glück hatte. Der Rest schweigt.

Unter uns: Niemand konnte ahnen, welche Geschichte dieses Jahr tatsächlich schreiben würde. Weder, dass politische Entscheidungen in den USA Kapitalströme Richtung Europa lenken würden, noch dass Gold ausgerechnet ab der Jahresmitte zur ruhigeren, besseren Option werden sollte. Im Dezember zuvor stand davon wenig in den Prognosen. Und doch wirkt im Rückblick wieder alles erstaunlich naheliegend.

Was die Sache so dauerhaft interessant macht: Das Spiel wird jeden Dezember neu gespielt. Für jeden Geschmack liegt bereits etwas bereit. Wachstum oder Substanz, Risiko oder Sicherheit, Amerika, Europa, Metalle, Cash oder doch die Schwellenländer. Man greift in den Pralinenkasten der Prognosen und findet fast immer genau das, was zur eigenen Überzeugung passt. Nicht weil es besonders überzeugend wäre, sondern weil man bestätigt werden möchte.

Im nächsten Dezember wirkt es dann erneut erstaunlich eindeutig. Übrig bleibt eine Geschichte – diejenige, die das Jahr selbst geschrieben hat. Genau diese lässt sich nun schlüssig erzählen. Nicht, weil sie vorher erkennbar gewesen wäre, sondern weil sie erst im Nachhinein existiert. Währenddessen beginnt bereits das nächste große Erzählen. Die Angelhaken müssen wieder ins Wasser.

Alle schlagen den DAX. Alle Jahre wieder.