Der "Markt" - Vehikel der kollektiven Verwirrung

Nein, der Markt ist keine unsichtbare Hand. Er ist ein kollektives Phänomen, das in Echtzeit bepreist

12/2/20252 min read

Um die Sache zu präzisieren: Während die Börse den Ort unserer Aktivitäten darstellt, ist der "Markt" die Stimmung, die dort herrscht. Dieser „Markt“ wird oft dargestellt als eine Art übergeordnetes Orakel, das uns verrät, was Dinge „wirklich wert“ sind. In Wirklichkeit ist er aber weit weniger göttlich und weit mehr menschlich: ein gigantischer Haufen Erwartungen, Ängste, Hoffnungen, Fehlbewertungen, spontaner Stimmungsschwankungen oder purer Machtdemonstration. Hayek nannte ihn einst das „größte Informationsverarbeitungssystem der Menschheit“ – eine Instanz, die klüger sei als jeder Einzelne. Nun gut, in Wahrheit gleicht er eher einem großen Wettbüro auf die Zukunft, in das alle gleichzeitig Geld hineinwerfen und sagen: „Ich glaube, morgen sieht die Welt so aus.“

Nein, der Markt ist keine Maschine, kein rationaler Supercomputer und keine unsichtbare Hand. Er ist ein kollektives Phänomen; die Summe unserer Verwirrung – nur eben in Echtzeit bepreist. Wenn alle optimistisch sind, steigt er. Wenn alle gleichzeitig Angst haben, fällt er. Und wenn alle gleichzeitig falsch liegen, kommt es zu „Marktbewegungen“. Am Ende ist der Markt kein Orakel, sondern ein psychologischer Spiegel, der uns zeigt, wie irrational wir wirklich sind - insbesondere wenn es um Geld und Zukunft geht.

Natürlich gibt es Kräfte, die mehr Eindruck hinterlassen als andere: Die institutionellen Platzhirsche – Fonds, Pensionskassen, Vermögensverwalter –, die mit Summen hantieren, bei denen Kleinanlegern spontan erstmal die Luft wegbleibt. Denn, erst ganz hinten am Ende der Nahrungskette, kommen wir: die Privatanleger. Wir, die auf Kursbewegungen reagieren wie Pavlovsche Hunde mit WLAN und einer emotionalen Bandbreite, die den genannten Platzhirschen eher fremd ist. Ihre Durchschnittstemperatur liegt deutlich unter 37 Grad. Man könnte sie "kalt" nennen.

Ein zentraler Irrtum im Umgang mit dem Markt ist die Annahme, dass er auf Fakten reagiert. Das tut er selten. In Wahrheit reagiert er auf Informationen, die Emotionen freisetzen: Gier, Angst, Hoffnung, Unsicherheit und alles dazwischen. Diese Urkräfte sind die Strömungen, die alles bewegen. Gier treibt Kurse in lächerliche Höhen, Angst lässt sie in groteske Tiefen krachen. Dazwischen befindet sich jene fragile Zone, in der Anleger glauben, rationale Entscheidungen zu treffen — obwohl sie in Wahrheit nur versuchen, die Stimmung der anderen zu erraten. „Die Kurse haben immer recht – selbst dann, wenn sie falsch liegen“, wie ein alter Trader einmal sagte. Eine hübsche Umschreibung dafür, dass wir uns im Kreis drehen und der Markt höflich mit dreht.

Und wer schlägt nun diesen Markt? Die ehrliche Antwort: fast niemand. Selbst professionelle Fondsmanager liegen im Durchschnitt hinter dem Markt zurück – trotz Mathematik, Research, Team, Datenfeeds und erheblicher Bürobeleuchtung bis tief in die Nacht. Analysten wiederum erklären uns im Rückblick, warum etwas passiert ist, und nennen das Analyse. Die Zukunft vorherzusagen bleibt jedoch weiterhin ihr größtes Hobby und ihre am wenigsten erfolgreiche Disziplin. „Analysten sagen dir, warum etwas passiert ist – nachdem es passiert ist.“ Ein Satz, der so wahr ist, dass er im Grunde schon wieder tröstlich wirkt.

Was also ist der Markt? Kein Orakel, keine Maschine, kein Wesen, das sich über uns erhebt. Er ist eine gigantische, laute, widersprüchliche, oft irrationale, aber faszinierende Aggregation von Erwartungen. Ein Stimmungsbarometer, das zur Preisformation mutiert ist. Ein Ort, an dem Milliarden Mikromeinungen aufeinandertreffen und wir das Ergebnis hinterher „Preis“ nennen. Der Markt ist nicht klüger als wir. Er ist wir — nur mit weniger Geduld und deutlich schnellerer Reaktionszeit.

Markt pur ist Wirtschaft pervers. Markt pur ist purer Wahnsinn. (Horst Seehofer)