"Diesmal ist es anders!" Eine kurze Theorie der Blase
Der Unterschied zur Dotcom-Zeit liegt heute nicht in der Euphorie – sondern in ihrer Verpackung
12/3/20252 min read


Wenn derzeit über die Märkte gesprochen wird, klingt es oft so, als seien wir alle Teil eines großen technologischen Erwachens: KI revolutioniert die Welt, Chips werden knapp wie Orakelsteine und jede Präsentation eines Halbleiterherstellers gilt als neuer Genesis-Moment. Die Frage, die niemand stellt: Handelt es sich um Fortschritt – oder nur um eine besonders fancy Variante der alten Dotcom-Blase?
Die Meinungen darüber gehen auseinander. Das tun sie immer, auch oder gerade bevor etwas platzt.
Bevor wir uns der Gegenwart widmen, lohnt ein Blick auf das Grundprinzip. Was ist eine Blase? Vereinfacht gesagt: eine Preisentwicklung, die mit der Realität ungefähr so viel zu tun hat wie ein Horoskop mit Astrophysik. Preise steigen, weil sie steigen. Erwartungen wachsen, weil die Erwartungen anderer wachsen. Und irgendwann vergessen alle, dass Unternehmen nicht von Luft leben, sondern von Gewinnen, Cashflow und zumindest einer groben Ahnung, wie man all das erreicht.
Historisch ist das nichts Neues. Wir hatten Tulpen, die zeitweise mehr kosteten als Häuser. Wir hatten South Sea, Mississippi, Eisenbahnen, die Roaring Twenties, Japans gigantische Asset-Illusion der 80er, die Dotcom-Glorie der Jahrtausendwende, Immobilien 2007 und Krypto 2021. Blasen gehören zum Markt wie Übertreibung zum Menschen. Oder, um Robert Shiller zu zitieren: „Blasen sind soziale Epidemien der Begeisterung.“ Die medizinische Struktur dahinter ist simpel: Man steckt sich an.
Heute heißen die Erreger Nvidia, OpenAI, LLMs, Cloud-Infrastruktur und das omnipräsente „AI-driven“. Die Gegenwart duftet nach Zukunftsversprechen, die so groß sind, dass selbst die kühnsten Dotcom-Slogans mickrig wirken. Der Unterschied zur Dotcom-Zeit liegt nicht in der Euphorie – sondern in ihrer Verpackung. Damals reichten eine Webseite, zwei Grafiken und ein Businessplan voller Leerzeilen.
Heute reichen eine Demo und eine GPU-Rechnung, die aussieht wie das Budget eines Kleinstaates.
Aber das Grundmotiv ist identisch: „Diesmal ist es wirklich anders.“ - mithin der gefährlichste Satz der Finanzgeschichte. John Kenneth Galbraith nannte ihn die Lieblingsausrede aller Spekulanten, kurz bevor sie feststellen, dass Geschichte sich nicht wiederholt, aber unverschämt zuverlässig reimt.
Der aktuelle Status: Selbst nüchterne Marktbeobachter sprechen mittlerweile von „Überdehnung“, „Klumpenrisiko“ und „Tech-KGVs, die nur mit Sauerstoffmaske verständlich sind“. Nvidia etwa notierte zeitweise bei einem KGV jenseits der 70 – ein Wert, der in der Dotcom-Zeit als „aggressiv“ gegolten hätte. Die eigentliche Frage ist daher nicht ob wir in einer Blase sind, sondern wie lange sie noch laufen will. Zwei Tage? Zwei Monate? Zwei Jahre? Blasen haben die charmante Eigenschaft, viel länger zu steigen als vernünftig wäre. Oder, wie ein Hedgefondsmanager neulich meinte: „Es ist leichter, eine Blase zu diagnostizieren, als ihr Timing zu überleben.“
Der Vergleich zur Dotcom-Blase ist auch hier lehrreich. Auch damals gab es Unternehmen mit echter Substanz – Amazon, eBay, Google (das noch privat war) – und eine gewaltige Menge Firmen, die im Rückblick nur durch übermotivierte Präsentationen existierten. Rund 80–90 % der Dotcom-Unternehmen verschwanden binnen weniger Jahre. Die Survivors wurden dafür extrem wertvoll. Dass Tech-Konzerne heute profitabel sind, schützt uns also nicht vor der Struktur der nächsten Säuberung: Die Wahrheit ist, dass auch diese Ära Gewinner und eine lange Liste vergessener Symbole produzieren wird. KI wird bleiben. Die Frage ist nur, welche Firmen das Ende der Euphorie erleben — und welche auf dem Friedhof der Innovationen ihren letzten Kurs finden.
Fragen über Fragen. Wie immer.


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