Höflich, aber anstrengend: Der Seitwärtsmarkt

Aufmerksamkeit ohne Belohnung ist wie Folter in Zeitlupe: Der Seitwärtsmarkt, die vielleicht die größte Anleger-Herausforderung überhaupt.

12/18/20252 min read

Verluste sind, von allen negativen Implikationen auf Ihren Depotwert mal abgesehen, zumindest ehrlich. Sie tun weh, sie stehen da, sie sind nicht zu übersehen. Seitwärtsmärkte dagegen sind höflich. Sie nehmen einem nichts weg – außer Zeit, Nerven und gute Laune. Und genau deshalb empfinden viele Anleger lange Seitwärtsphasen als anstrengender als klare Verluste. Nicht logisch. Aber überaus menschlich.

Verluste machen wenigstens einen Punkt. Ein Verlust ist ein Ereignis. Der Kurs fällt, das Minus ist da, der Schaden ist sichtbar. Psychologisch ist das fast schon komfortabel. Das Gehirn bekommt ein klares Signal: Das ist passiert. Man kann sich ärgern, verkaufen, verdrängen oder philosophisch werden. Aber irgendetwas ist abgeschlossen. Seitwärtsmärkte kennen keinen Punkt. Sie kennen nur Kommas.

Der Markt sagt nichts – und genau das macht aggressiv. Seitwärtsmärkte sind keine Bewegung, sondern ein Zustand. Sie sagen nicht Nein. Sie sagen auch nicht Ja. Sie sagen: Mal sehen. Das ist kein Marktverhalten. Das ist passiv-aggressiv. Ungewissheit stresst Menschen oft stärker als ein klares negatives Ergebnis. Nicht, weil sie gefährlicher ist – sondern weil sie das Gehirn wie eine offene Browser-Registerkarte permanent mitlaufen lässt.

Lieber schlechte Nachrichten als gar keine. Geduld fühlt sich nur gut an, solange sie sich lohnt. Die unausgesprochene Anlegergleichung lautet: Geduld + Zeit = Fortschritt. Seitwärtsmärkte sind der Moment, in dem diese Gleichung leise explodiert. Man wartet. Man hält. Man ist „langfristig unterwegs“. Und trotzdem passiert: nichts. Der Frust entsteht nicht, weil der Markt fällt. Sondern weil er die eigene Erwartung ignoriert.

Aufmerksamkeit ohne Belohnung ist Folter in Zeitlupe. Seitwärtsmärkte sind gefährlich unauffällig. Man schaut öfter aufs Depot. Interpretiert kleine Ausschläge. Findet Bedeutung in Bewegungen, die keine haben. Psychologisch ist das anstrengend: Daueraufmerksamkeit ohne Ergebnis führt zu Erschöpfung. Und Erschöpfung macht dünnhäutig. Deshalb wirken Anleger in Seitwärtsphasen oft gereizter als nach Verlusten. Nicht panisch – sondern genervt.

Gefährlich: Plötzlich tut man Dinge, die man eigentlich lassen wollte. Viele schlechte Entscheidungen an der Börse entstehen nicht aus Gier, sondern aus Ungeduld. Seitwärtsmärkte erzeugen das Gefühl, Zeit zu verlieren. Und Zeitverlust fühlt sich für viele Menschen schlimmer an als Geldverlust. Also wird optimiert. Umgeschichtet. Getimed. Nicht, weil es klug ist – sondern weil Nichtstun psychologisch kaum auszuhalten ist. Die unbequeme Wahrheit: Seitwärtsmärkte sind nicht gefährlicher als Verluste. Aber sie sind psychologisch zermürbender. Das ist eine Mischung, an der viele Köpfe scheitern.

Anleger. Oft komplizierter, als der Markt es ist.